Es sind die kleinen Dinge, die einen dazu bringen, einen Menschen für immer mit diesem einen Ort zu verbinden. Ein Kuss, ein Wort, ein Blick, Gespräche, Gedanken, die Zeit zu zweit.
Doch einmal endet das Glück, zerbricht. Unerwartet, viel zu plötzlich sind dort Abgründe, tiefe Schluchten, wo einst Liebe war. Und irgendwann kommt der Augenblick, in dem man sich fragt, ob es das Glück überhaupt jemals gab, oder ob man nur Teil eines perfekten Schauspiels war. Man beginnt zu zweifeln, an sich selbst, dem anderen, an der Wirklichkeit.
Doch dann kehrt man allein zurück zu diesem Ort, dem Ort den man einst teilte. Und man merkt, es ist noch immer der selbe Ort, der selbe Park, die selbe Bank, die selbe Aussicht. Man spürt, dass die Vergangenheit wirklich war, denn man droht zu ersticken an diesem Gefühl, an der Sehnsucht, der Einsamkeit. Unvollständig ist dieser Ort, wenn der andere fehlt, so unvollständig wie man selbst, weil das Herz sich scheut zu schlagen, wenn man Goldstaub atmet. Es ist Goldstaub in der Luft, an diesem Ort, an diesem einen Ort, den man mit diesem einen Menschen verbindet, diesem einen Menschen, den niemand auf dieser Welt ersetzen kann.
Und trotz des Schmerzes, kehrt man jedes mal allein zurück. Denn Goldstaub kann man nur alleine fühlen. Und suchte man diesen Ort mit wem anders auf, so würde man ihm all seinen Glanz nehmen, ihn entzaubern, den Momenten fremdgehen. Denn wenn die Wege sich teilen, ist die Erinnerung alles, was beiden bleibt. Und der Goldstaub, in der Luft. Goldstaub in der Luft, an diesem Ort, den man im Herzen ewig teilt. Es ist Goldstaub in der Luft. Goldstaub, der für immer bleibt.
Ein verregneter Sommertag, mitten im Juli. Trotz der tiefgrauen Wolken am Himmel wirft die abendliche Dämmerung ein sanftes, warmes Licht über die Stadt.
Wieder bin ich hierher zurückgekehrt, bin wieder diesen Weg gegangen, den ich bereits unzählige Male ging. Und wieder sitze ich hier auf dieser Bank. Sie ist durchnässt vom Regen, doch es stört mich nicht. Ich will nicht wissen, wie oft ich schon hier war, wieviele Stunden ich schon auf dieser Bank gesessen habe. Nicht genug.
Ich schaue hinab, sehe den großen Teich, welchen man von hier aus gut überblicken kann. Schaue dem sanften, seichten Nieselregen zu, der mit jedem einzelnen Tropfen große Kreise auf der Wasseroberfläche zieht. Lebendig. Vor mir plätschert Wasser leise wie ein kleiner Wasserfall ein paar steinige Stufen hinab, vereint sich unten mit dem Gewässer des Teiches. Auch im letzten Winter war ich oft hier. Der kleine Wasserfall war eingefroren, und doch sah es aus, als fließe er immer noch. Als hätte man die Welt bloß für einen Moment angehalten.
Es ist alles so harmonisch an diesem Ort. Das absolute Gegenstück zu dem Chaos in meiner Welt, zu dem Chaos in mir.
Ich atme tief ein, wieder spüre ich die Gedanken, die Erinnerungen aufkommen. Versuche sie zurückzuhalten, versuche, sie noch im Keim zu ersticken. Sie sollen mich nicht erdrücken, sollen mich nicht wieder zerbrechen lassen. Nicht noch einmal.
Der Regen wird stärker, das leise, sanfte Plätschern wird unerträglich laut, es kommt mir vor, als hörte ich jeden einzelnen Tropfen wie einen großen Stein auf der Wasseroberfläche aufschlagen. Die Geräusche hallen immer lauter in meinem Kopf wider, werden lauter, noch lauter, es beginnt zu stechen, zu schmerzen, zu brennen. Der Wind heult über mich hinweg, wird zu einem wilden Getöse, ich sehe die riesigen Bäume hin und her schwanken, sie sind stark. Stark genug.
Mein Puls rast, ich spüre ein letztes vergebliches Aufbegehren meines tobenden Verstandes, bevor er gebrochen in sich zusammensackt und Platz für die Gefühle macht, die wie eine Lawine auf mich zurollen. In einem Zwiespalt aus Ausweichen und Kämpfen kauere ich mich innerlich zusammen, spüre, wie die unaufhaltbare Welle schmerzhaft über mich hereinbricht, sich auf mich stürzt, überrollt, mich zerdrückt und schließlich in Stücke reißt. Ich schließe die Augen.
Schwach. Ich bin zu schwach.Es ist Frühling. Erste warme Sonnenstrahlen wärmen mein Gesicht. Der kleine Wasserfall plätschert die Steinstufen hinab, fließt in den Teich, welcher im Sonnenlicht wie eine Spiegeloberfläche glänzt.
Deine Hand streichelt sanft die meine, du hältst mich fest. Ich gehöre dir. Liebevoll schaue ich dich an, wandere mit meinem Blick über deine Gesichtszüge, die ich so sehr mag. Deine Augen sind geschlossen, auch du genießt die Frühlingssonne, siehst zufrieden aus. Ich lehne mich an dich, streife mit meiner Hand über deine Wange um sie dann vorsichtig zu küssen. Du öffnest die Augen, schaust mich an und deine Augen halten mich für einen Moment in ihrem Bann, lassen mich nicht los. Du bist so unglaublich schön. Langsam hebst du meine Hand, um sie zu küssen. Es ist nicht das erste Mal. Du bist besonders, viel zu besonders für diese Welt.
Es ist ein wunderschöner Tag. Wir lachen zusammen, bleiben einfach dort sitzen, reden, genießen gemeinsam die Sonne, unser Beisammensein. Ich streiche dir durchs Haar, deine dunkelblonden Locken schmiegen sich um meine Finger, während du mich in deinen Armen hältst.Mir wird warm ums Herz, es könnte nicht schöner sein. Nein, mit niemandem könnte es schöner sein, als mit dir.
Es donnert. Erschrocken öffne ich die Augen, es regnet in Strömen. Blitze zucken in kurzen Abständen über den Himmel und tauchen diesen schönen Ort in ein grässlich helles Licht.
Vögel fliegen ängstlich umher, ich sehe ein paar kleine Hasen hastig und schutzsuchend über die Wiesen rennen. Meine Haare kleben triefendnass in meinem Gesicht, meine Kleidung ist vom Regen durchweicht.
Ich friere, doch ich verschwende keinen Gedanken daran, fortzugehen. Denn dies ist der einzige Ort, an dem ich dir noch nah sein kann, deine Anwesenheit spüren kann.
Wieder bin ich schwach geworden, bin in meinen Erinnerungen ertrunken. Es passiert so oft, wenn ich hier bin. Wieder habe ich dich vor mir gesehen, als wäre es erst gestern gewesen. Habe dich neben mir gespürt, deine warme Haut gestreichelt, deine Hand gehalten, mich an dich geschmiegt, um dir nah zu sein. Ich habe in dein schönes, offenes Gesicht geblickt, das innerhalb eines einzigen Augenblicks jedoch auch düster und verschlossen sein konnte. Seine Schönheit verlor es jedoch nie.
Ich habe deine sanft geschwungenen Lippen geküsst, mich ihnen wieder und wieder hingegeben. Und wieder habe ich in deine Augen geschaut, in deine wunderschönen grünen Augen, die zur Mitte hin leicht in ein weiches braun übergehen. Sie sehen meinen so ähnlich und doch sind sie hundert mal schöner, heller, strahlender. Viel zu oft hast du mich mit diesem Blick angeschaut, der ein wenig zu tief in mich drang, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte. Es hat mich nie gestört, denn ich habe dir vertraut. Ich vertraue dir noch immer.
Meine Augen brennen, das Wasser läuft mir im Gesicht hinab, rinnt über meine Lippen. Es schmeckt salzig. Ich versuche sie nicht zu unterdrücken, diese Tränen. Denn du bist jede einzelne von ihnen wert.
Obwohl du mir so viel genommen hast. Alles was ich hatte, jedes gute Gefühl. Du hast mit Eiseskälte mein Herz festgehalten, es zwischen deinen Händen zerdrückt, als wäre es Nichts. Und noch immer klebt mein Blut an deinen Händen, unbemerkt von dir.
Hilflos musste ich mit ansehen, wie du mein lebloses, blutleeres Herz achtlos in den Schmutz warfst, als hätte es nichts besseres verdient.
Mein Verstand schrie mich an, dass nur Wut und Hass hier am rechten Platz wären. Doch wie könnte ich dir böse sein, dich gar hassen für etwas, was mein geschändetes Herz dir längst verziehen, nein, niemals übel genommen hatte. Wieder einmal verlor mein Verstand den Kampf gegen mein Herz, musste sich fügen und blieb betäubt liegen. Nicht ein einziges schlechtes Wort habe ich jemals über dich verloren, und hätte ich die Chance dich noch einmal in meine Arme zu schließen, so würde ich niemals ein Wort über damals, niemals auch nur ein einziges Wort über all den Schmerz verlieren. Niemals würde ich dich mit dem Rücken an die Wand stellen, dich niemals zwingen, mir Rechenschaft abzugeben, für all das, was passierte. Denn du bist unschuldig.
Es war deine eiskalte Maske, die du dir täglich ins Gesicht zwingst, dein zweites Gesicht. Ich habe deine Maske früh erkannt, habe durch sie hindurch gesehen. Ich habe gesehen, dass du besonders bist. Habe die Einsamkeit gespürt, die tief in dir herrscht. Und auch all den Schmerz, den du mit dir trägst, mit jedem Schritt. Habe die Stille im Innern deines Herzens gehört, gefühlt.
Du warst anders, du bist anders. Du bist wunderschön.
Deine Seele ist wunderschön.


